Eine Weihnachtsgeschichte - Teil 1

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Ich liebe Weihnachten! Also, im Prinzip. Wenn denn alles glatt geht. Aber manchmal geht eben nicht alles glatt, sondern in die weihnachtlich rote Fließhose.

Um dem vorweihnachtlichen Stress zu entfliehen und ein wenig in festliche Stimmung zu kommen, hilft mir meistens der Besuch eines Weihnachtsmarktes. Ich habe extra meinen grünen Weihnachtspullover angezogen, auf dem ein Rentier zu sehen ist, wie es dem Osterhasen einen kräftigen Tritt in den Hintern verpasst. Ein raffinierter optischer Effekt sorgt dafür, dass man denkt der Osterhase fliegt mit hoher Geschwindigkeit aus dem Pullover heraus auf einen zu. Im Hintergrund steht der Weihnachtsmann und lacht sich kaputt. Mein Lieblingspullover.

Ich habe Hunger und schlendere in Richtung der ersten Futterkrippe, stelle dann aber schon von weitem anhand an der Bude befestigter kleiner roter Lampions fest, dass chinesisches Essen feilgeboten wird. Mal davon abgesehen, dass asiatische Gerichte ohnehin nicht mein Fall sind, werde ich nie begreifen, was eine chinesische Fressbude auf einem Weihnachtsmarkt zu suchen hat. Westeuropäer stehen ja auch nicht beim chinesischen Neujahrsfest in einer Bude in Nantong und verkaufen Milchshakes. Ich lasse sie links liegen und lande schließlich an einer der 46 Würstchenbuden.

Nach dem Verzehr von drei bis vier Glühwein mit Amaretto spüre ich eine leicht feierliche Stimmung in mir aufsteigen. Doch nicht ein durch die Holzbuden schneidender LKW, wie es andernorts schon mal passieren kann, zerstört meine weihnachtliche Stimmung, sondern die Minnesängerin, die auf der kleinen Holzbühne erfolglos versucht, verschiedene Tonfolgen stimmlich harmonisch aneinander zu reihen. Mit Singen hat das etwa so viel zu tun wie der neue Berliner Flughafen BER mit Flugreisen. Nichts.

Als wäre ihr Gesang nicht schon unverschämt genug, beginnt die Künstlerin in einer der von den Zuschauern herbeigesehnten Pause Werbung für einen Werkzeughersteller zu machen. Ernsthaft.

„Ach ja. Mein Mann hat mich ja noch gebeten darauf hinzuweisen, dass die Elektrowerkzeuge von Posch unzerstörbar sind und drei Jahre Garantie haben.“ Werbung auf dem Weihnachtsmarkt. Als wenn das bei den mit Eierpunsch abgefüllten Besuchern überhaupt eine Wirkung erzielt.

Man ist geneigt zu erwidern: „Ach ja. Das Publikum hat dich ja noch darum gebeten, mit der audiovisuellen Folter aufzuhören und mit deiner Werkzeugkiste unterm Arm zu verschwinden.“ Da das nicht passiert, entscheide ich mich, den Weihnachtsmarkt zu verlassen.

Auf dem Weg nach Hause fällt mir noch ein, dass ich ja noch einen Weihnachtsbaum besorgen wollte. Da ich für regionale Produkte bin und ich auf meinem Heimweg an einem kleinen Wäldchen vorbei komme, habe ich mir extra eine kleine Handsäge ins Auto gelegt. Es dauert nicht lange bis ich ein schönes Tannenexemplar ausgewählt habe und mache mich an die Arbeit.

Da in Norddeutschland an Weihnachten um die 19 Grad sind, wird mir vom Sägen ziemlich schnell ziemlich warm. Ich ziehe meinen „Rentier kicks Osterhasen“-Pullover aus. Da die Handsäge bei jedem Armzug stumpfer wird, muss ich mich fluchend und schwitzend am Tannenstamm abrackern. Immer wieder unterbreche ich keuchend den Versuch den Baum vom Wurzelwerk zu trennen. Schließlich breche ich – inzwischen mit nacktem Oberkörper - kraftlos zusammen. Ich liege auf dem moosigen Waldboden und wünsche mir eine unzerstörbare Elektrosäge mit drei Jahren Garantie von Posch herbei. Ich falle in einen kurzen Schlaf und träume davon, wie ich auf dem Weihnachtsmarkt in einer chinesischen Essensbude Milchshakes zubereite.

Zwei Stunden später erwache ich, weil mich eine leichte Brise umweht. Dabei stelle ich fest, dass nicht nur mein Oberkörper entblößt ist. Auch in der unteren Region fröstelt es mich etwas. Ich bin nackt. Warum, erschließt sich mir nicht. Zwischen meinen Beinen ziemlich nah an meinen Genitalien sitzt ein Eichhörnchen und blickt mich mit seinen kleinen schwarzen Augen unsicher an. Da ich nun erwacht bin, fragt es sich anscheinend, ob es sich bevor es dem Fluchtreflex nachgibt noch eben das paar Nüsse schnappt.

Ich komme dem Nagetier zuvor und rappele mich auf. Da ich ja nun sowieso schon mal hier bin, vollende ich mein Vorhaben und fälle die Tanne nach weiteren 43 Minuten. Den Weihnachtsbaum hinter mir herziehend, mache ich mich auf den Weg zur Straße. Am Wegesrand angekommen stehe ich neben meinem verschlossenen Auto. Den Schlüssel hatte ich natürlich nicht in einer meiner Körperöffnungen verstaut, sondern in meiner Hose, die auf wundersame Art und Weise zusammen mit meiner restlichen Kleidung abhanden gekommen ist.

Etwas entfernt höre ich eine hohe Männerstimme „Rudolf das rotnasige Rentier“ singen. Ein Chinese vielleicht, denn es klingt ein wenig wie „Ludolf das lotnasige Lentiel“.

Aus dem Dunkel torkelt dann ein Mann auf mich zu. Als er näher kommt denke ich: Wieso fliegt da ein Osterhase auf mich zu. Dann erkenne ich den lachenden Weihnachtsmann im Hintergrund. Das kickende Rentier kann ich allerdings kaum wahrnehmen, denn der betrunkene Chinese hat auf den Pullover gereihert. Auf meinen Lieblingspullover. Und auf meine Hose. Und meine Schuhe.

Er bleibt vor mir stehen, ich - nackt mit meinem Weihnachtsbaum in der Hand. Ich erkenne, der Mann ist gar kein Chinese, sondern einfach nur knalle voll. Er schaut mich an und lallt: „Das Teil ist aber schön gerade gewachsen. Und einen Weihnachtsbaum hast du auch dabei.“

Ich beschränke mich darauf meinen Autoschlüssel zurückzufordern, und fahre nach Hause.


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