Eine Weihnachtsgeschichte - Teil 2

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Heiligabend
Der weihnachtliche Höhepunkt verläuft jedes Jahr in etwa nach dem gleichen Muster. Die Kinder, in ungeduldiger Erwartung auf die Geschenke, fragen Alexa sieben Mal pro Stunde nach der Uhrzeit. Die Eltern verbringen den Tag mit den letzten Vorbereitungen für das Abendmahl, die Geschenke, das Aufstellen des mit 4000 Watt beleuchteten Weihnachtsensambles aus Maria, Joseph, Christuskind, Esel, Ziegen und des Coca Cola-Weihnachtstrucks im Vorgarten.

15.00 Uhr
Ich weise die Familie darauf hin, dass wir uns rechtzeitig fertig machen müssen, wenn wir zum 16 Uhr-Gottesdienst gehen und noch einen guten Platz in der Kirche einnehmen wollen.

15.25 Uhr
Meine Frau diskutiert mit Kind 1 darüber, welche Jacke bei 19 Grad Außentemperatur die richtige ist.

15.37 Uhr
Noch nicht alle Familienmitglieder haben sich bereits entschieden, welche Schuhe sie zum Weihnachtsgottesdienst anziehen wollen. Ich dränge auf Aufbruch, um nicht zu spät zu kommen.

16.06 Uhr
Weil die Kirche bis unters heilige Dach mit Menschen gefüllt ist und wir zu spät kommen, nehmen wir im Vorraum auf Plastikstühlen Platz. Ein Kind hat keine Schuhe an.

17.45 Uhr
Die Kinder erkundigen sich freundlich, wann es die Geschenke gibt. Wie jedes Jahr erkläre ich, dass die Rentiere, die den Schlitten des Weihnachtsmanns ziehen, aufgrund einer EU-Tierschutz-Verordnung alle 60 min eine Pause von 5 Minuten einlegen müssen und deshalb noch etwas brauchen. Bestimmt kommen sie aber nach dem Abendessen.

18.50 Uhr
Das Weihnachtsessen ist vorüber und die Küche wieder in Ordnung gebracht. Einer alten Tradition folgend erinnert mich Kind 2 daran, dass man doch für den Weihnachtsmann noch draußen den Glühwein und die Kekse hinstellen muss. Eigentlich sieht die Tradition zwar Tee vor. Ich habe sie aber nach meinen Belangen weiterentwickelt. Also erhitze ich eine Tasse mit Glühwein, nachdem ich vorher einen ordendlichen Schuß Amaretto hinzugefügt habe und lege ein paar Kekse auf einen Teller. Kind 2 bringt beides hinaus in den Vorgarten.

19.03 Uhr
Kind 1 und Kind 2 werden mit einer weihnachtlichen Fernsehserie abgelenkt. Ich laufe schnell hinaus in den Garten. In einem Busch in der Nähe der Straße hatte ich kurz nach der Kirche zwei Säcke versteckt. Einen mit den Geschenken, einen mit dem Weihnachtsmannkostüm. Jetzt muss alles schnell gehen.

Ich ziehe mir zügig Hose und Hemd aus. Ein Nachbar, der mit seinem Hund spazieren geht, blickt erschrocken zu mir herüber und hält seinem Hund die Augen zu, damit er den Anblick des Mannes in Unterhosen nicht ertragen muss.

Hurtig ziehe ich mir die rote Fließhose über und bücke mich nach dem puscheligen Mantel, als ein mir bekanntes Geräusch die stille Nacht durchfeuert und mir die Erkenntnis verleiht, dass die Hose, die bis vor kurzem straff über meinen Hintern gespannt war, auf ganzer Linie gerissen war.
Macht nix, denke ich. Ich kann sowieso nicht mehr als Weihnachtsmann ins Haus. Die Kinder sind schon zu groß und würden mich erkennen. Der Plan ist, etwas entfernt im halbdunkel stehen zu bleiben.

Ich ziehe die restlichen Weihnachtsmannsachen an und hänge mir einen Bart um. Bevor ich an der Tür klingeln kann, muss ich erst noch den Amaretto mit Glühwein austrinken und die Kekse aufessen. Ich eile zu der im Vorgarten abgestellten Tasse und Teller und finde beides zerbrochen auf der Erde liegen. Daneben sehe ich wie ein torkelndes Eichhörnchen, dessen Gesicht mir seltsam bekannt vorkommt, kleine Zimtsterne auf den Rasen erbricht. Aber ich gönne es dem Nagetier und mache mich auf den Weg zur Haustür.

19.14 Uhr
Das hat ja wunderbar geklappt. Die Kinder haben den Geschenkesack freudig entgegen genommen und haben ihn ins Wohnzimmer geschleppt. Damit niemand misstrauisch wird, laufe ich schnell zum Gebüsch zurück, um mich wieder umzuziehen. Meine normalen Klamotten sind merkwürdig nass. Auf dem Bürgersteig gegenüber steht der Nachbar mit seinem Hund und beobachtet mich wieder. Der Geruch lässt keinen Zweifel zu. Der Hund hat auf meine Sachen gepinkelt.
Egal, denke ich. Jetzt schnell anziehen und zurück ins Haus. Im Wohnzimmer angekommen erklären mir Kind 1 und Kind 2 aufgeregt, dass der Weihnachtsmann da war und die Geschenke gebracht hat. Ich frage mich wann ihnen auffällt, dass ich noch nie während der Geschenkeübergabe anwesend war. Jedenfalls nicht in meiner Funktion als Vater.

Irritiert bemerken sie, dass ich nach Urin rieche. Gedankenschnell erkläre ich, dass ich mich vor Aufregung eingepinkelt habe. Sie glauben es und wenden sich wieder dem Geschenkesack zu.

Ich lasse mich in den Sessel fallen und beobachte Kind 1 und Kind 2 beim Geschenkeauspacken. Und ich erkenne: Das Leuchten in ihren Augen ist den ganzen Stress wert.

In diesem Sinne Frohe Weihnachten.

Und hier könnt ihr den ersten Teil nachlesen.

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