Eine Weihnachtsgeschichte - Teil 1
Bild von Alexas_Fotos auf Pixabay |
Ich liebe Weihnachten! Also, im
Prinzip. Wenn denn alles glatt geht. Aber manchmal geht eben nicht
alles glatt, sondern in die weihnachtlich rote Fließhose.
Um dem vorweihnachtlichen Stress zu
entfliehen und ein wenig in festliche Stimmung zu kommen, hilft mir
meistens der Besuch eines Weihnachtsmarktes. Ich habe extra meinen
grünen Weihnachtspullover angezogen, auf dem ein Rentier zu sehen
ist, wie es dem Osterhasen einen kräftigen Tritt in den Hintern
verpasst. Ein raffinierter optischer Effekt sorgt dafür, dass man
denkt der Osterhase fliegt mit hoher Geschwindigkeit aus dem Pullover
heraus auf einen zu. Im Hintergrund steht der Weihnachtsmann und
lacht sich kaputt. Mein Lieblingspullover.
Ich habe Hunger und schlendere in
Richtung der ersten Futterkrippe, stelle dann aber schon von weitem
anhand an der Bude befestigter kleiner roter Lampions fest, dass
chinesisches Essen feilgeboten wird. Mal davon abgesehen, dass
asiatische Gerichte ohnehin nicht mein Fall sind, werde ich nie
begreifen, was eine chinesische Fressbude auf einem Weihnachtsmarkt
zu suchen hat. Westeuropäer stehen ja auch nicht beim chinesischen
Neujahrsfest in einer Bude in Nantong und verkaufen Milchshakes. Ich
lasse sie links liegen und lande schließlich an einer der 46
Würstchenbuden.
Nach dem Verzehr von drei bis vier
Glühwein mit Amaretto spüre ich eine leicht feierliche Stimmung in
mir aufsteigen. Doch nicht ein durch die Holzbuden schneidender LKW,
wie es andernorts schon mal passieren kann, zerstört meine
weihnachtliche Stimmung, sondern die Minnesängerin, die auf der
kleinen Holzbühne erfolglos versucht, verschiedene Tonfolgen
stimmlich harmonisch aneinander zu reihen. Mit Singen hat das etwa so
viel zu tun wie der neue Berliner Flughafen BER mit Flugreisen.
Nichts.
Als wäre ihr Gesang nicht schon
unverschämt genug, beginnt die Künstlerin in einer der von den
Zuschauern herbeigesehnten Pause Werbung für einen
Werkzeughersteller zu machen. Ernsthaft.
„Ach ja. Mein Mann hat mich ja noch
gebeten darauf hinzuweisen, dass die Elektrowerkzeuge von Posch
unzerstörbar sind und drei Jahre Garantie haben.“ Werbung auf dem
Weihnachtsmarkt. Als wenn das bei den mit Eierpunsch abgefüllten
Besuchern überhaupt eine Wirkung erzielt.
Man ist geneigt zu erwidern: „Ach ja.
Das Publikum hat dich ja noch darum gebeten, mit der audiovisuellen
Folter aufzuhören und mit deiner Werkzeugkiste unterm Arm zu
verschwinden.“ Da das nicht passiert, entscheide ich mich, den
Weihnachtsmarkt zu verlassen.
Auf dem Weg nach Hause fällt mir noch
ein, dass ich ja noch einen Weihnachtsbaum besorgen wollte. Da ich
für regionale Produkte bin und ich auf meinem Heimweg an einem
kleinen Wäldchen vorbei komme, habe ich mir extra eine kleine
Handsäge ins Auto gelegt. Es dauert nicht lange bis ich ein schönes
Tannenexemplar ausgewählt habe und mache mich an die Arbeit.
Da in Norddeutschland an Weihnachten um
die 19 Grad sind, wird mir vom Sägen ziemlich schnell ziemlich warm.
Ich ziehe meinen „Rentier kicks Osterhasen“-Pullover aus. Da die
Handsäge bei jedem Armzug stumpfer wird, muss ich mich fluchend und
schwitzend am Tannenstamm abrackern. Immer wieder unterbreche ich
keuchend den Versuch den Baum vom Wurzelwerk zu trennen. Schließlich
breche ich – inzwischen mit nacktem Oberkörper - kraftlos
zusammen. Ich liege auf dem moosigen Waldboden und wünsche mir eine
unzerstörbare Elektrosäge mit drei Jahren Garantie von Posch
herbei. Ich falle in einen kurzen Schlaf und träume davon, wie ich
auf dem Weihnachtsmarkt in einer chinesischen Essensbude Milchshakes
zubereite.
Zwei Stunden später erwache ich, weil
mich eine leichte Brise umweht. Dabei stelle ich fest, dass nicht nur
mein Oberkörper entblößt ist. Auch in der unteren Region fröstelt
es mich etwas. Ich bin nackt. Warum, erschließt sich mir nicht.
Zwischen meinen Beinen ziemlich nah an meinen Genitalien sitzt ein
Eichhörnchen und blickt mich mit seinen kleinen schwarzen Augen
unsicher an. Da ich nun erwacht bin, fragt es sich anscheinend, ob es
sich bevor es dem Fluchtreflex nachgibt noch eben das paar Nüsse
schnappt.
Ich komme dem Nagetier zuvor und
rappele mich auf. Da ich ja nun sowieso schon mal hier bin, vollende
ich mein Vorhaben und fälle die Tanne nach weiteren 43 Minuten. Den
Weihnachtsbaum hinter mir herziehend, mache ich mich auf den Weg zur
Straße. Am Wegesrand angekommen stehe ich neben meinem
verschlossenen Auto. Den Schlüssel hatte ich natürlich nicht in
einer meiner Körperöffnungen verstaut, sondern in meiner Hose, die
auf wundersame Art und Weise zusammen mit meiner restlichen Kleidung
abhanden gekommen ist.
Etwas entfernt höre ich eine hohe
Männerstimme „Rudolf das rotnasige Rentier“ singen. Ein Chinese
vielleicht, denn es klingt ein wenig wie „Ludolf das lotnasige
Lentiel“.
Aus dem Dunkel torkelt dann ein Mann
auf mich zu. Als er näher kommt denke ich: Wieso fliegt da ein
Osterhase auf mich zu. Dann erkenne ich den lachenden Weihnachtsmann
im Hintergrund. Das kickende Rentier kann ich allerdings kaum
wahrnehmen, denn der betrunkene Chinese hat auf den Pullover
gereihert. Auf meinen Lieblingspullover. Und auf meine Hose. Und
meine Schuhe.
Er bleibt vor mir stehen, ich - nackt
mit meinem Weihnachtsbaum in der Hand. Ich erkenne, der Mann ist gar
kein Chinese, sondern einfach nur knalle voll. Er schaut mich an und
lallt: „Das Teil ist aber schön gerade gewachsen. Und einen
Weihnachtsbaum hast du auch dabei.“
Ich beschränke mich darauf meinen
Autoschlüssel zurückzufordern, und fahre nach Hause.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen